Kaleb - Das Kennenlernen
- willkommendahoam
- 15. Nov. 2019
- 5 Min. Lesezeit
Kaleb. Kaleb ist ein Junge, dessen Geschichte mich sehr berührt. In den letzten Jahren habe ich immer wieder von Kaleb gehört, da er mit einigen der Jungs eng befreundet ist. Er ist im gleichen Dorf wie Efrem aufgewachsen und hat später einige Jahre bei Belays Familie gewohnt. Seit das Projekt mit den Jungs läuft, wurde immer wieder von Kaleb gesprochen. Persönlich kennengelernt habe ich ihn erst vor zehn Tagen. Und das hat einen Grund.
Ich habe lange überlegt, ob ich über Kaleb und seine Geschichte überhaupt schreiben soll, da es kein einfaches Thema ist – besonders bei der derzeitigen Stimmung im Land. Aber Angst ist kein guter Ratgeber und dieser Blog war nie dafür gedacht, nur die rührenden, schönen, erfolgreichen Seiten der Flüchtlingsarbeit darzustellen. Es geht um die Lebensrealität der Jungs – und die Themen, mit denen ich bei der Zusammenarbeit mit ihnen konfrontiert werde.
Wie all die anderen Jungs, hat auch Kaleb einen Alias-Namen bekommen, um seine Identität zu schützen. Kaleb heißt in Wirklichkeit also gar nicht Kaleb.
Vielleicht hat Kaleb irgendwann einmal Lust, seine Geschichte selbst zu erzählen. Heute geht es erstmal um meine Perspektive, um unser Kennenlernen und um die Themen, an denen wir in den nächsten Monaten gemeinsam arbeiten werden.
Wenn in den letzten Jahren unter den Jungs Kalebs Name fiel, dann ging es immer darum, dass Kaleb nicht da ist. Denn Kaleb war im Gefängnis. Drei Jahre und zwei Monate. Die Jungs, die Kaleb von früher kannten, konnten es nicht fassen, dass gerade er inhaftiert wurde. In seiner Kindheit und Jugend war er wohl ein sehr braver, angepasster Junge gewesen und es fiel seinen Jugendfreunden schwer zu verstehen, dass gerade er so tief abgestürzt ist.
Kaleb ist seit guten fünf Jahren in Deutschland, drei Jahre und zwei Monate davon in Haft. Die Taten, für die er inhaftiert wurde, waren eigentlich Kleinigkeiten und ich bin immer noch erstaunt und auch entsetzt, dass in den Verfahren eine derart lange Strafe herauskam. Da wir damals noch keinen wirklichen Kontakt hatten, war ich bei den Verhandlungen nicht dabei, ich kann also nicht sagen, was da (schief) gelaufen ist, aber das Ergebnis erstaunt mich und klingt nach übermäßiger Härte.
Nach mehreren Jahren Haft entlassen zu werden und wieder zurück ins Leben zu finden, ist sicherlich nie einfach – es ist aber noch viel schwieriger, wenn da kein Leben ist, zu dem man zurückkehren und keine Familie, die einen auffangen kann. Kaleb kommt aus einem Land, in dem so ziemlich alles anders ist als hier und hatte kaum Gelegenheit unsere Lebensweise kennenzulernen. Vieles ist ihm noch fremd und er hat niemanden, bei dem er für Erste unterkommen kann und der ihm hilft, die ersten Schritte zurück ins Leben zu unternehmen.
Kalebs Vater starb, als er ein Teenager war. Zwei Geschwister sind noch in Eritrea und Äthiopien, seine Mutter und fünf seiner Geschwister leben seit ein paar Monaten in Holland. Er hat sie seit sieben Jahren nicht gesehen und obwohl sie nur wenige Fahrstunden entfernt von ihm leben, hat er keine Möglichkeit sie zu sehen, da er Deutschland nicht verlassen darf.
Diese künstliche Trennung von Familien ist sicherlich einer meiner größten Kritikpunkte am europäischen Asylsystem. Es ist allgemein bekannt, dass ein erheblicher Teil der Geflüchteten traumatisiert ist. Eine Behandlung der Traumata wäre oftmals dringend nötig, damit die Betroffenen überhaupt die Möglichkeit haben, ein normales Leben zu führen. Aber Therapieplätze sind schwierig zu bekommen und eine Therapie zudem oft schon aufgrund der Sprachbarriere kaum möglich. Umso wichtiger wäre es daher, geflüchteten Menschen zu ermöglichen, in der Nähe von Familienmitgliedern zu wohnen (gleiches Land, gleiches Bundesland, gleiche Stadt). Es dürfte kaum einen stabilisierenderen Faktor geben, als das Gefühl nicht allein zu sein und mit der Unterstützung von Menschen, die man schon sein ganzes Leben lang kennt (sei das nun die Kernfamilie, Verwandte oder auch nur gute Freunde) ein neues Leben aufzubauen. Ein Netzwerk zu haben, das einen stützt. Die Realität ist aber leider, dass es Familienzusammenführungen im Normalfall nur für minderjährige Kinder und ihre Eltern sowie Ehepartner gibt. Selbst Geschwister haben als Verwandte zweiten Grades ein Anrecht darauf. Ein Kampf, den wir selbst führen mussten, als Efrems damals 16jähriger Bruder Denden nach Deutschland kam. Nicht einmal ein Minderjähriger konnte einfach in die Nähe seines erwachsenen Bruders zugeteilt werden. Diesen Kampf haben wir letztendlich dank einer äußersten engagierten Jugendamtsmitarbeiterin gewonnen, die über sämtliche Grenzen gegangen ist, um Denden in der Nähe von Efrem unterzubringen. Auch Yemanes Bruder Daniel und Samis Schwester Feven samt Ehemann kamen nach Deutschland, leben aber zwangsweise mehrere Stunden von ihren Geschwistern entfernt, obwohl es gerade Sami sehr guttun würde, seine Schwester in der Nähe zu haben.. Aber das ist ein anderes Thema.
Kaleb also hat seine Mama und fünf seiner Geschwister in Europa – kann aber nicht bei ihnen wohnen. Er darf sie noch nicht einmal besuchen. Ich kann mir kaum ein einsameres Gefühl vorstellen, als nach über drei Jahren aus der Haft entlassen zu werden, in einem Land, in dem man sich kaum auskennt – und niemanden zu haben, der einen abholt. Niemand den es interessiert, dass man wieder da ist. Niemand, zu dem man gehen, bei dem man die ersten Tage unterkommen kann.
Um mal kurz eine Lanze für die anderen Jungs zu brechen: Sie sind definitiv bereit Kaleb zu unterstützen, aber ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Sie wussten nicht, wann er entlassen wird und viele von ihnen wohnen noch in Unterkünften, in denen Übernachtungsbesuche unmöglich sind (auch so ein Punkt…)
Vor knapp einem Monat erzählten mir Efrem und Sami dann, dass Kaleb wieder da ist. Sie hatten ihn zufällig getroffen und so erfahren, dass er entlassen wurde. Ich sagte ihnen, was ich auch schon in den letzten Jahren immer wieder gesagt habe: Kaleb soll sich melden, wenn er Unterstützung braucht.
Damit war das Thema für mich erst einmal erledigt. Bis Efrem und ich am vorletzten Wochenende nach seinem Fußballspiel zu Burger King gingen und dort zufällig auf Kaleb trafen. Er saß alleine an einem Tisch und freute sich sehr, Efrem zu sehen. Mich begrüßte er mit meinem Namen, was mich erstaunte. Ich ahnte zwar, wer er war, war mir aber keinesfalls sicher. Efrem stellte uns vor und Kaleb meinte, er hätte schon viel von mir gehört. Das konnte ich direkt zurückgeben. Wir schauten uns an und die Sympathie war sofort da.
Wir unterhielten uns fast eine Stunde und ich lernte einen sehr freundlichen, nachdenklichen Jungen kennen. Efrem schlug Kaleb auch auf Tigrinya vor, sich von mir unterstützen zu lassen, was wohl ein Knackpunkt für Kaleb war. Bei einem späteren Treffen erzählte er mir, hatte er schon in Haft darüber nachgedacht, wie er Kontakt zu mir aufnehmen könnte, hätte das von sich aus aber nie getan. Er war froh und dankbar, dass sich unsere Wege zufällig kreuzten und Efrem den Rest übernahm. Ich gab ihm meine Nummer. Er meldete sich am nächsten Tag.
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