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Aron - hopeless and demoralized

  • willkommendahoam
  • 10. Juli 2018
  • 4 Min. Lesezeit

Über Aron habe ich vor ein paar Monaten schon einmal geschrieben. An der Situation hat sich leider kaum etwas geändert. Aron ist nun fast zwei Jahre in Deutschland. Er hat Freunde gefunden, lernt die Sprache, seine Cousine lebt hier. Doch weiterhin liegt sein Schicksal völlig in der Hand von Sachbearbeitern und Behörden. Egal was er tut, egal wie sehr er sich anstrengt, Aron hat keinerlei Einfluss darauf, wie es mit ihm weitergeht.

Aron hat vor einem Jahr einen Dublin-Bescheid erhalten. Das bedeutet, dass Deutschland nicht für seinen Asylantrag zuständig ist, weil er in einem anderen Land (Italien) Europa zum ersten Mal betreten und dort Fingerabdrücke abgegeben hat. Während also Deutschland Abkommen mit Italien hat, monatlich eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen abzunehmen, werden gleichzeitig Menschen wieder zurück nach Italien geschickt, die zum Teil schon mehrere Jahre in Deutschland leben, hier zur Schule gehen, die Sprache gelernt haben. Flüchtlinge werden hin und her geschoben, als ob es sich um Waren handelt, nicht um Menschen. Besonders bitter: Aron ist minderjährig in Deutschland eingereist. Ein als Minderjähriger gestellter Asylantrag schützt vor einer Dublin-Abschiebung. Leider hat die Jugendhilfeeinrichtung „vergessen“, den Antrag rechtzeitig zu stellen. Gestellt wurde er also erst, als Aron schon 18 Jahre alt war – und damit kann und muss er abgeschoben werden, unabhängig davon, dass seine Cousine hier ist, dass er schon seit zwei Jahren hier lebt, dass er Wurzeln geschlagen und die Sprache gelernt hat.

Aron wohnt in einem kleinen Zimmer der Jugendhilfe, das sein Rückzugsort, sein „safe place“, sein zuhause ist. Er hat es liebevoll eingerichtet mit Lichterketten, Deutschlandflagge, Büchern und Bildern von Jesus und der heiligen Mutter Maria. In Italien wird er, wie viele andere Dublin-Fälle auch, höchstwahrscheinlich auf der Straße landen, im Park schlafen, um Essen und eine Decke betteln. Die Vorstellung bricht mir das Herz.

Aron ist ein sehr zerbrechlicher, intelligenter Junge. In seinem Zimmer hat er mehrere Hefte voll mit Texten die er geschrieben und Bildern, die er gezeichnet hat. Auf einer Seite ist ein aufwändig gezeichneter Totenschädel zu sehen. Der Text darum fragt, warum die Hautfarbe für viele Menschen eine Rolle spielt, nachdem das, was von uns übrigbleibt, doch bei allen Menschen gleich aussieht: Knochen und Schädel. Hinten im Heft hat er sich eine Liste geschrieben, die ihn daran erinnern soll, was wichtig im Leben ist: Hab keine Angst mehr. Lass dich nicht von kleinen Sorgen aus der Bahn werfen. Streng dich an, um eine Zukunft zu haben.

Leicht fällt ihm das nicht. So sehr er sich auch anstrengt, er hat keinerlei Kontrolle über seine Zukunft. Die ständige Unsicherheit und Sorgen haben ihn völlig aus der Bahn geworfen, die Angst zerfrisst seine Seele.

Nach wie vor ist Aron erschreckend dünn. Er versinkt in seinen Klamotten, die Schlüsselbeine stehend beängstigend hervor. Aron weiß selber, wie er aussieht und versucht dies so gut es geht zu verstecken. Trägt kaum T-Shirts, auch wenn es heiß ist, verbirgt seine dünnen Ärmchen unter Pullovern und Jacken. Angst und Sorgen schnüren ihm den Hals zu, er sagt, dass er Nichts runter kriegt, so sehr er es auch versucht.

Aron ist sehr intelligent. Er interessiert sich für Geschichte, Geographie, Philosophie, Kunst. Wäre er in Deutschland geboren, würde er wahrscheinlich Abi machen und danach Kunst, Design oder Philosophie studieren. Aber er ist in Eritrea geboren und wurde schon als Kind Soldat. Fast fünf Jahre hat er gedient, bevor ihm die Flucht gelang.

Nun sitzt er zusammengesunken mit eingefallenen Augen auf seinem Bett und erzählt, dass er früher ein guter Schüler gewesen ist, der die Schule geliebt hat. Er lernte schnell und leicht, konnte sich alles merken. Seit er den Brief bekommen hat, dass man ihn zurück nach Italien bringen will, funktioniert sein Kopf nicht mehr. Er kann sich kaum noch an etwas erinnern, vergisst alles, kann sich nicht konzentrieren. Die ständige Angst hat sich ins einem Kopf ausgebreitet und bestimmt sein Denken.

Jetzt hat zu allem Überfluss das Jugendamt beschlossen, dass die Jugendhilfe für Aron beendet wird. Theoretisch ist es möglich, dass Jugendliche bis sie 21 Jahre alt sind, in der Jugendhilfe verbleiben und die Unterstützung bekommen, die sie benötigen, bis sie auf eigenen Füßen stehen können. Aron kann derzeit nicht auf eigenen Beinen stehen. Er schafft es kaum selbstständig aus dem Bett, ihm fehlt die Energie um zu leben. Er hat wahnsinnige Angst vor seiner Post, sodass diese inzwischen nur noch von den Betreuern geöffnet und abgeheftet wird, er braucht jemanden, der ihn daran erinnert hin und wieder zumindest zu versuchen etwas zu essen und seine Medikamente zu nehmen. Jemand der Arzttermine für ihn ausmacht und ihn dorthin begleitet, jemand der mit seiner Anwältin spricht.

Durch die Beendigung der Jugendhilfe wird er auch noch sein Zimmer verlieren. Sein Rückzugsort, sein Refugium. Und das in einer Situation, in dem es ihm schlechter kaum gehen könnte, in der keine Kontrolle über sein eigenes Leben hat, in der er die Unterstützung der Betreuer mehr denn je benötigt, in der ihn die Aussicht auf den Verlust seines Zuhauses über die Kante stößt, in die absolute Panik treibt.

Für mich als Außenstehende ist Arons Drama schwer zu ertragen. Es gibt wenig, das man tun kann um ihm zu helfen, wenig, das man sagen kann, um ihn zu trösten. Denn wirklichen Trost gibt es in dieser Situation nicht. Es tut weh zu sehen, wie ein Junge so völlig ohne Hoffnung ist: „I’m hopeless and demoralized“ hat er vor ein paar Tagen zu mir gesagt. Und es gibt wenig, was man darauf erwidern kann, denn tatsächlich gibt es kaum Hoffnung für ihn. Es tut weh zu sehen, wie sich ein Junge zum Skelett hungert, weil er vor Angst nicht mehr essen kann. Es tut weh einen jungen Menschen zu sehen, der sich und die Hoffnung so völlig aufgegeben hat.

Er mag aufgegeben haben, ich habe es nicht. Und ich werde so lange kämpfen, bis es eine Lösung gibt, die ihm wieder Hoffnung, Kontrolle über sein Leben und eine Zukunft gibt. Allerdings ist momentan noch nicht wirklich klar, wie das zu schaffen ist.

Falls jemand Lust hat, Aron zu unterstützen, sei es durch Klamotten (er besitzt quasi nichts), aufmunternde Postkarten, Care-Pakete, Kuscheltiere oder bei der Bezahlung seiner Anwältin (insgesamt circa 900 Euro) meldet euch gerne unter: willkommen.dahoam@gmail.com

 
 
 

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