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Dendens Flucht - Teil 2

  • willkommendahoam
  • 24. März 2017
  • 4 Min. Lesezeit

Denden wurde in den Sudan gebracht. Dort verbrachte er einige Monate in der Unterkunft eines Schleusers. Das Haus verlassen konnte er nicht, zumindest aber war er erst einmal in Sicherheit. Am Telefon stritten Efrem und Denden. Efrem wollte nicht, dass sich der kleine Bruder auf den Weg durch die Sahara macht. Zu schlimm sind die Erinnerungen an seine eigene Sahara-Durchquerung. Ich habe im Post „Verdrängte Hölle“ davon erzählt:

Denden ist trotzdem gegangen. Das Warten auf die nächste Nachricht machte mürbe. Zehn Tage später kam der Anruf aus Libyen. Denden ist dort, gefangen in einem der speziellen Lager, in denen Flüchtlinge im Grenzgebiet eingesperrt werden, bis sie bezahlen. Es ist eine ausgeklügelte Industrie, aus der es kaum ein Entkommen gibt. Die Schleuser packen die hilflosen Menschen zunächst auf Pickup-Trucks, später oftmals in Container auf LKW. In Libyen angekommen werden sie direkt in die Lager gebracht und und dort unter unvorstellbaren Bedingungen festgehalten. Oft ist es so eng, dass der Platz zum Hinlegen fehlt, essen gibt es kaum, Schläge, Folter und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Bringt die Familie die verlangte Summe auf, werden die Flüchtenden weitertransportiert, in ein ähnliches Lager nach Tripolis oder einer anderen Küstenstadt. Wieder müssen sie hoffen, dass es den Familien irgendwann gelingt sie frei zu kaufen. Innen wird gefoltert, außen schlagen die Bomben des libyschen Bürgerkrieges ein.

Für die zweite Geldübergabe fuhren wir wieder nach Köln. Dieses Mal mit dem Bus. Efrem war die ganze Fahrt über schlecht, in Köln konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Nach wenigen Stunden ging es mit dem Bus zurück nachhause. Man verlegte Denden nach Tripolis. Efrem verhandelte mit den Wärtern am Telefon. Das Geld sollte er dieses Mal nach Hannover bringen. Er weigerte sich, die Wärter waren sauer, Denden hatte Angst. Efrem ebenfalls. Sein Blick war hohl. „Denden wird es nie bis nach Deutschland schaffen“ flüsterte er. Der Kontaktmann in Hannover schließlich hatte ein Einsehen und vermittelte einen Kontakt in einer Kleinstadt an der bayerisch-österreischen Grenze.

Ein Freund erklärte sich bereit uns zu fahren. Es dämmerte schon, als wir am Zielort eintrafen. Wieder hielten wir uns im Hintergrund um die Kontaktleute nicht zu verschrecken. Das bedeutete aber, Efrem alleine zum Treffen gehen zu lassen. Plötzlich war die genannte Telefonnummer nicht mehr erreichbar. Efrem bekam Panik. Schließlich gelang es ihm doch noch Kontakt herzustellen. Aus der Ferne sahen wir, wie das Treffen stattfand, dann verschwanden sie in der Dunkelheit. Über eine Stunde warteten wir im Auto auf Efrems Rückkehr, im Kopf spielte ich Horrorszenarien durch. Die Warterei war schrecklich, die Minuten schienen nicht zu vergehen. Endlich klingelt das Telefon: „Hol mich ab, ich weiß nicht wo ich bin“. Ich rannte durch eine Unterführung, bei der wir vermuteten, das Efrem vorhin mit den Männern darin verschwunden war. Ich fand ihn auf der anderen Seite. Im Haus der Kontaktperson hatte er überraschend Jungen aus seinem Dorf getroffen. Sie haben ihn zum Essen eingeladen.

Und wieder begann eine nervenzehrende Zeit des Wartens. Darauf, dass Denden auf ein Boot gebracht wird und darauf, dass er in Italien ankommt. Über diese Zeit habe ich im Post: Warten auf Denden“ geschrieben:

Wir Deutschen haben uns wenig Sorgen um die Überfahrt gemacht. In den ersten Monaten 2016 sind einige hundert Menschen auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen. Viel zu viele, aber doch eine recht geringe Zahl verglichen mit denen, die in Italien angekommen sind. Wir waren uns sicher, dass Denden das schafft. Es war die letzte Woche im Mai. Über Gerüchte erfuhren wir, dass Denden Donnerstags auf ein Boot gebracht werden sollte. In den nächsten Tagen ertranken knapp tausend Menschen. Es war eine der größten Katastrophen im Mittelmeer. Mehrmals am Tag gab ich die Begriffe „Mittelmeer“ und „Flüchtlinge“ in die Suchmaschine ein und mit dem jedem Mal erhöhte sich die Zahl der Toten. Ich begann an Dendens Überleben zu zweifeln. Efrem erzählten wir zunächst einmal nichts, er erfuhr es Tage später über Facebook.

Es folgte eine wochenlange, schreckliche Stille. Wir versuchten Efrem Erklärungen für Dendens Schweigen zu liefern, und glaubten doch selber nicht daran. In Italien wurden die geborgenen Leichen an Land gebracht. Ohne Efrems Wissen ließen wir Denden dort suchen. Ohne Erfolg. Irgendwann schlich sich der Gedanke ein, dass wir möglicherweise nie erfahren würden, was mit Denden passiert ist. Efrem war in diesen Wochen innerlich tot. Alles war ihm egal, auch das eigene Leben. Er schien sich nach und nach selber zu zerstören und wir mussten hilflos dabei zugucken.

Nach vielen Wochen der Hoffnungslosigkeit kamen Gerüchte auf, dass Dendens Boot von der Küstenwache erwischt worden war und die Passagiere wieder in Libyen in Gefangenschaft sind. Hoffnung keimte auf, die sich bestätigte, als Denden endlich anrief. Er lebte.

Im August traf Denden schließlich in Italien ein. Es fiel schwer zu glauben, dass er wirklich da war. Er schickte Fotos, war Efrem wie aus dem Gesicht geschnitten. Natürlich wollten sich die Brüder schnellstmöglich sehen, doch eine Weiterreise von Denden nach Deutschland erschien wenig sinnvoll. Dank Dublin-Verfahren wäre er zurück nach Italien geschickt worden. Er harrte geduldig aus, während wir möglich Optionen durchspielten, Pläne schmiedeten und wieder verwarfen. Nach langer Recherche fand ich die Möglichkeit einer legalen Einreise. Die Chancen schienen gering, versuchen wollten wir es trotzdem.

Es war Mitte Februar als ich mit Efrem in der Küche stand und kochte. Er hatte nach dem Fußballtraining vorbei geschaut und erzählte von Pässen, Toren und dem Spiel am kommenden Wochenende. Plötzlich schaute er auf und sagte: „Übrigens, Denden kommt in zwei Wochen nach Deutschland“. Ich war sprachlos, hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass der Plan tatsächlich funktionieren würde.

Zweieinhalb Wochen später sind Efrem und ich auf dem Weg zu Dendens Unterkunft in einem ehemaligen Hotel mit blauer Fassade. Die Zugfahrt dorthin war furchtbar. Die Minuten wollten nicht vergehen, die Spannung war kaum zu ertragen. Dann liegen sich Efrem und Denden in den Armen und alles ist gut. Dreieinhalb Jahre, nachdem sie in Äthiopien den schwierigen Entschluss gefasst hatten, dass Denden zurück nach Eritrea und damit ins Gefängnis gehen und Efrem sich auf den gefährlichen Weg nach Europa machen würde, sehen sich die Brüder wieder. Am Rande eine vierspurigen Straße in einer deutschen Großstadt.

 
 
 

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