Efrem - verdrängte Hölle
- willkommendahoam
- 28. März 2016
- 3 Min. Lesezeit
Efrem sitzt auf dem Bett, seine dünnen Beine pendeln in der Luft. Gerade hat er noch von seinem Fußballspiel erzählt, von den Toren, den Fouls, den gegnerischen Spielern. Jetzt starrt er vor sich hin ins Leere. „Was macht Denden?“ fragt er leise. Denden ist Efrems kleiner Bruder. Vor vier Monaten ist auch er aus Eritrea entkommen. Auf der Flucht wurde er von Rashaida-Nomaden gekidnappt, die ihn bzw. seine Organe verkaufen wollten. Mit Glück hat er überlebt.
In den vergangenen Monaten wussten wir Denden verhältnismäßig sicher in einem Versteck im Sudan.Vor wenigen Tagen nun hat Efrem durch Freunde erfahren, dass sich Denden, entgegen des Flehens seines Bruders, auf den Weg durch die Sahara gemacht hat. Ziel: Libyen. Efrem wollte nicht, dass Denden geht. Er wusste, welch Qualen den 16jährigen erwarten.
In den Tagen nach Dendens Aufbruch geht es Efrem schlecht. Sein Blick ist abwesend, die meiste Zeit liegt er stumm in seinem abgedunkelten Zimmer. Die mühevoll verdrängten Erinnerungen an die eigenen Tage zwischen Leben und Tod in der Sahara kommen zurück. Nahrung und Getränke für die Durchquerung mussten von den Flüchtenden selbst mitgenommen werden. Wie lange die Fahrt dauern würde, wusste vorher keiner. Efrem brachte soviel Wasser wie er tragen konnte zum Fahrzeug der Schlepper. Genug für mindestens eine Woche in der glühenden Wüstensonne war das nicht. Und die Schlepper waren gnadenlos. Um mehr Personen auf die Ladefläche pferchen zu können, entsorgten sie einen Teil der Wasservorräte und Lebensmittel.
Die Fahrt war unerträglich. Menschen starben; sie wurden vom Auto gestoßen. Dann gingen die Vorräte zur Neige. Drei Tage verbrachte Efrem in der Wüste ohne einen Schluck Wasser. Er litt. Wurde schwach. Dann konnte er nicht mehr sprechen. Irgendwann dachte Efrem, er wäre tot.
Libysche Soldaten fanden die Gruppe in letzter Minute. „Eine Stunde später, und ich wäre gestorben “ sagt Efrem jetzt in dem Container-Zimmer seiner Gemeinschaftsunterkunft. Dann wandern seine Gedanken wieder zu Denden. Ein paar Tage später schaut Efrem von einem Video auf, das er gerade guckt. „Weißt du“, sagt er, „als wir in der Sahara waren, da haben wir unseren Urin getrunken um zu überleben“. Dann blickt er verlegen zu Boden.
Mit jedem Tag der ohne Nachricht von Denden vergeht, wird Efrem nervöser. Je länger die Fahrt dauert desto größer die Chance, dass auch der kleine Bruder tagelang ohne Wasser in der Wüste unterwegs ist.
Nach zehn Tagen endlich der ersehnte Anruf aus Libyen. Denden lebt. Wie fast alle Flüchtenden aus Ostafrika wird er in einem speziellen Gefängnis festgehalten. 1600 Dollar muss er bezahlen, um weiter ziehen zu dürfen. Bis es den Familien gelingt, dieses Geld aufzutreiben, vergehen oft viele Monate. In der Zwischenzeit werden die Gefangenen geschlagen, gedemütigt, gefoltert und bekommen kaum etwas zu essen. Efrem war acht Monate in der libyschen Hölle.
Wenige Tage später schreibt mir Efrem: "Das Leben ist furchtbar; ich kann nicht mehr." Als ich ihn im Bahnhof finde - dem üblichen Zufluchtsort der Buben - redet er nicht. Wir fahren ziellos mit der Straßenbahn durch die Stadt. Es ist rush hour. Irgendwann spricht Efrem: „Ich habe mit Denden telefoniert. Er sagt, sie warten nicht, bis wir das Geld bezahlen können. Sie bringen die Menschen einfach um“.
Zurück im Bahnhof. Eine Lotterie zu Gunsten von Kindern in Not. Wir kaufen ein paar Lose und gewinnen einen Fußball. Efrem liebt Fußball. Denden auch. Efrem ist Drogba, Denden ist Robben. Eines Tages werden sie wieder zusammen spielen.

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